Früher wieder Autofahren nach Anfällen
Studie des Epilepsie-Zentrums Bethel macht Erkrankten Hoffnung
Wann darf ich wieder Auto fahren? Das ist, neben der Genesung, eine der zentralen Fragen für Menschen, die zum ersten Mal epileptische Anfälle erleiden. Werden die Betroffenen früh und angemessen therapiert, ist die Chance auf Anfallsfreiheit und die damit verbundene Rückkehr hinter das Steuer groß. Dennoch müssen Erkrankte laut aktueller Führerschein-Leitlinie erst ein Jahr ohne Anfälle bleiben, bevor sie wieder Auto fahren dürfen. „Die Fahrtauglichkeit ist ein ganz großes Thema unter den Patientinnen und Patienten, weil ein Verbot eine massive Einschränkung für sie bedeutet“, erläutert Dr. Ulrich Specht, Oberarzt am Epilepsie-Zentrum Bethel. „Sie verlieren ein Stück ihrer Unabhängigkeit, kommen nicht mehr zur Arbeit, zu Freunden oder Verwandten.“
Eine internationale Studie unter Federführung des Epilepsie-Zentrums Bethel macht bestimmten Betroffenen nun Hoffnung auf eine frühzeitigere Rückkehr hinter das Steuer. Zu diesen zählen beispielsweise auch Personen, die an einer Gehirnentzündung (Autoimmun-Encephalitis) erkranken. Bei einer Autoimmun-Encephalitis greifen fehlgeleitete Antikörper die Nervenzellen im Gehirn an. In den meisten Fällen ist die Ursache unklar. Die Erkrankung kann sich durch unterschiedlichste neurologische und psychiatrische Symptome wie Gedächtnisstörungen, Psychosen oder Schwindel äußern.
In seiner Studie hat das Epilepsie-Zentrum Bethel federführend in Zusammenarbeit mit 34 Forschern aus 14 Kliniken und Zentren weltweit, die auf Autoimmun-Encephalitis spezialisiert sind, über mehrere Jahre Daten von 981 Patientinnen und Patienten mit dieser Erkrankung zusammengetragen und ausgewertet. In der renommierten US-amerikanischen Fachzeitschrift „Neurology: Neuroimmunology & Neuroinflammation“ wurden die Ergebnisse zuerst veröffentlicht.
Das Forscher-Netzwerk konnte dabei nachweisen, dass Patientinnen und Patienten, deren Erkrankung durch bestimmte Antikörper ausgelöst wird, sehr gut auf eine Immuntherapie ansprechen und anfallsfrei werden. Sind sie mindestens drei Monate anfallsfrei geblieben, ist das Risiko, zukünftig wieder Anfälle zu erleiden, so gering, dass sie bereits nach diesen drei Monaten wieder Auto fahren dürften. „Das wäre für Patientinnen und Patienten im Alltag natürlich eine große Erleichterung, dass sie nicht ein Jahr pausieren müssen“, so Dr. Anna Rada, Erstautorin der Studie und Oberärztin am Epilepsie-Zentrum Bethel. „Unsere Ergebnisse sind ein Schritt in Richtung zur individualisierten Beurteilung der Fahreignung bei Menschen mit Anfällen.“
Einer der Betroffenen, für die die Forschungsergebnisse hilfreich waren, ist Peter Brauns. Nach sich häufenden sprachlichen Aussetzern sowie Stürzen, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, wurde bei dem 65-Jährigen eine Autoimmun-Encephalitis diagnostiziert. Nach einer Behandlung dieser Gehirnentzündung im Epilepsie-Zentrum Mara ist Peter Brauns seit September 2023 anfallsfrei. Nach einem halben Jahr durfte er, mit einer ausführlichen Begründung aus Mara, schließlich wieder mit dem Auto fahren – und auch arbeiten: „Das war eine lange Zeit und beruflich sehr ungünstig für mich. Ohne Auto konnte ich nicht zu meinen Patienten“, erklärt der Mitarbeiter eines ambulanten Dienstes: „Ich bin seit über 30 Jahren dabei und kenne mehrere Patienten auch schon sehr lange. Da baut man persönliche Beziehungen auf und trinkt auch mal einen Kaffee zusammen. Die haben mich in der Zeit natürlich sehr vermisst.“
Grundlage für die Forschungsarbeit ist der Bericht einer Fachkommission der Europäischen Union: Menschen mit epileptischen Anfällen dürfen wieder Auto fahren, wenn sie anfallsfrei sind und das Risiko eines erneuten Anfalls in den folgenden zwölf Monaten unter 20 Prozent liegt. Diese Regelung ist in der aktuell gültigen deutschen Führerschein-Leitlinie noch nicht enthalten. Für die sich aktuell in Überarbeitung befindende Leitlinie, in der der EU-Bericht voraussichtlich Anwendung findet, bietet die Studie aus Bethel gute Anhaltspunkte.
Für LKW-, Bus- und Taxifahrer mit epileptischen Anfällen gelten hingegen strengere Vorgaben, wegen des größeren Risikos von schweren Verkehrsunfällen bzw. dem Transport von Fahrgästen.