Bundesweites Vorzeigeprojekt an Bielefelder Medizinfakultät: Menschen mit Beeinträchtigungen im Dozententeam

Dank eines bundesweit einzigartigen Forschungsprojektes des Betheler Krankenhauses Mara und der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld werden Menschen mit körperlichen beziehungsweise intellektuellen Beeinträchtigungen Teil des Dozententeams. Durch die inklusive Lehre werden Berührungsängste abgebaut, die Kommunikation trainiert und die Inklusive Medizin weiterentwickelt. Das Projekt wird mit rund 300.000 Euro von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert.

Wenn sich Medizinstudierende in Vorlesungen, Seminaren oder am Krankenbett Themen der Inklusiven Medizin – also der Medizin für Menschen mit intellektuellen beziehungsweise körperlichen Beeinträchtigungen – widmen, dann sprechen sie künftig nicht mehr nur über die Betroffenen, sondern dank des „Forschungsprojektes zur Realisierung inklusiver Medizinischer Lehre“ (FRiMeL) auch mit ihnen – ganz gemäß Bethels Vision „Gemeinschaft verwirklichen“.

Als inklusive Lehrassistenten werden sie in Bielefeld-Bethel zu Experten in eigener Sache: Menschen mit Beeinträchtigungen ergänzen die Lehrveranstaltungen ab dem zweiten Studienjahr praxisnah, erläutern in der Rolle der Dozierenden, wie sie Erkrankungen im Alltag erleben, treten in den Dialog mit den Studierenden und trainieren den Austausch in Leichter Sprache. Dieser ist im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung wichtig, um Diagnosen zu stellen, Therapien zu entwickeln und die Lebensqualität zu erhöhen. Für die Vorbereitung der zukünftigen Dozierenden auf ihre Tätigkeit in der medizinischen Lehre wird nun ein maßgeschneidertes Schulungskonzept entwickelt.

„Menschen mit Beeinträchtigungen in die Lehre einzubeziehen, empfinde ich für alle Beteiligten als wertvoll“, erklärt Projektleiterin Univ.-Prof. Dr. Tanja Sappok. „Ich habe den Eindruck, dass die Studierenden durch die persönliche Begegnung viel mehr mitnehmen und sich stärker für die Inklusive Medizin begeistern.“ Univ.-Prof. Dr. Tanja Sappok, Direktorin der Universitätsklinik für Inklusive Medizin am Krankenhaus Mara, besetzt die bundesweit erste Professur für Menschen mit Behinderung, Schwerpunkt psychische Gesundheit, an der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld.

Das Projekt leitet sie gemeinsam mit ihrem Kollegen, Univ.-Prof. Dr. Christian Brandt, Leitender Arzt in der Universitätsklinik für Epileptologie im Krankenhaus Mara. Seine Professur für Epileptologie mit Schwerpunkt Behindertenmedizin an der Medizinischen Fakultät Bielefeld ist ebenso einmalig in Deutschland wie die von Tanja Sappok. „Das Bedürfnis, Menschen mit Beeinträchtigungen in die Lehre einzubeziehen, resultiert aus unserer täglichen Arbeit“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Christian Brandt. „Mit dem Projekt möchten wir ein starkes Zeichen für gegenseitigen Respekt und Verständnis, für die Zusammenarbeit im Krankenhaus Mara und die Entwicklung Inklusiver Medizin für eine zukunftsweisende Gesundheitsversorgung von Menschen mit Beeinträchtigungen setzen.“

Das Projekt FRiMeL entspricht dem Forschungsprofil „Medizin für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen“ der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld ebenso wie dem Profil des Betheler Krankenhauses Mara mit den Universitätskliniken für Inklusive Medizin und Epileptologie. Offiziell gestartet ist das Forschungsprojekt am 1. April 2024. Um die Menschen mit Beeinträchtigungen auf ihre Tätigkeit als inklusive Lehrassistenten vorzubereiten, hat das Forschungsteam ein rund 50 Stunden umfassendes Curriculum und Lernmaterialien unter anderem zur Didaktik, zu medizinischen Grundkenntnissen, zum eigenen Rollenverständnis oder zu vermittelnden Lehrinhalten erarbeitet. Nach Ende der Schulungen Anfang 2025 startet die studentische Lehre ab dem kommenden Sommersemester. Teil des Projekts, das mit 300.000 Euro von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert wird, ist auch eine Evaluation.  

Neben Tanja Sappok und Christian Brandt gehören derzeit vier wissenschaftliche Mitarbeitende zum Pilot-Projektteam sowie die ersten vier inklusiven Lehrassistenten. „Um motivierte Menschen mit Beeinträchtigungen zu finden, haben wir uns umgehört, Stellenausschreibungen gestartet und Vorstellungsgespräche geführt“, erläutert Tanja Sappok das Verfahren.

Das Feedback der Pioniere der integrativen Lehre, die das Projekt auch bei offiziellen Anlässen auf Kongressen repräsentieren, sei sehr positiv. „Ich erlebe, wie sie diese Aufgabe stärkt und ihr Selbstbewusstsein wächst.“ Christian Brandt fasst zusammen: „Unsere Projekttreffen sind so bereichernd und außergewöhnlich, dass sie zu unserem Wochenhighlight geworden sind.“